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Buchtipp von Astrid Braun: „Das Jahresbankett der Totengräber“ von Mathias Enard

Mathias Enard (li.) und Niklas Bender ©Astrid Braun
Mathias Enard (li.) und Niklas Bender ©Astrid Braun

Das wollten wir, Stipendiat Urs Mannhart und Astrid Braun, uns nicht entgehen lassen: eine der ersten Live-Lesungen im Literaturhaus und dann auch noch mit dem aus Frankreich angereisten Mathias Enard und seinem neuen Roman „Das Jahresbankett der Totengräber“.

Ein sichtlich gut gelaunter Autor, der später zugab, wie sehr er die Live-Situation mit Publikum vermisst habe, stellte im erfrischenden Dialog mit Moderator Niklas Bender (Professor aus Tübingen, derzeit an der Universität des Saarlands tätig) seinen komplexen Roman vor.

Dank mehrere eingestreuter, gut ausgewählter Passagen aus dem Roman, gelesen von Max-Walter Weise, und dem erklärenden Gespräch zwischen Enard und Bender bekam das Publikum live und im Stream einen guten Eindruck von der Struktur des Buches mit dem ungewöhnlichen Titel. Was es mit dem Totengräberbankett auf sich hat und welches Füllhorn an Einfällen und Begriffen der Autor, der im übrigen sehr gut Deutsch spricht, für die Leserin, den Leser bereithält, davon konnte Enard, der für seinen Roman „Kompass“ den renommierten Prix Concourt 2015 erhielt, die Zuhörer:innen überzeugen.

Mathias Enard (li.) und Niklas Bender ©Astrid Braun
Mathias Enard (li.) und Niklas Bender ©Astrid Braun

Mit dem Roman macht Enard das Städtchen seiner persönlichen Herkunft Niort in der Region Nouvelle Aquitaine sowie das Landleben ebendort zum zentralen Ausgangspunkt der fiktiven Recherchen eines jungen Anthropologen mit Namen David. Diese Hauptfigur des Romans lässt sich für ein Jahr dort nieder, um über das Leben auf dem Land im allgemeinen und besonderen zu recherchieren und eine wissenschaftliche Arbeit zu verfassen. Seine persönlichen Aufzeichnungen entlarven den Verfasser, aber zeichnen durchaus so manch kurzweiliges Porträt der Landbewohner:innen. Abwechselnd pflicht Enard die Geschichte der französischen Literatur in die persönliche Geschichte von David ein und nutzt dazu auch diverse literarische Formen. Der typische Pariser Student wird vom Landleben mehr absorbiert als ihm anfangs lieb ist. Bei der Schilderung des Titel gebenden Banketts lassen Rabelais‘ „Gargantua und Pantagruel“grüßen. Mag es auch mancher Leserin, manchem Leser zu viel Rabelais sein, an der sinnlichen Freude und der Sprachgewalt des Autors, der mehrere Sprachen, darunter Arabisch und Altpersisch, spricht und an der Universität Barcelona lehrt, herrscht kein Zweifel. Wie schon in seinem monumentalen Epos „Kompass“, in dem es um die Passion des Westens für den Orient geht, scheut Enard nie das große Ganze, auch in diesem Roman ist er ein beherrscht Reisender durch alle Zeiten.

Für die Freunde französischer Lebenskultur und insbesondere der französischen Küche ist der Roman in diesem Sommer sicher ein besonderer Genuss. Dass die Übersetzung des Textes für die Übersetzer Holger Fock und Sabine Müller eine Herkulesarbeit gewesen ist, erläuterte der als Gast anwesende Fock an amüsanten Beispielen.

Auch die Lektüre braucht Kraft und Ausdauer.

Mathias Enard: „Das Jahresbankett der Totengräber“. Übersetzt aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Hanser Berlin, Berlin 2021. 480 Seiten, 26 Euro

 

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